„Wir schicken niemanden weg“
Arzt schenkt seine freie Zeit den Ärmsten: Ibrahim Moussa weiß selbst, wie es ist, wirklich arm zu sein.
Deswegen hilft er in Entwicklungsländern und Krisengebieten.
(© Neue Westfälische vom 7/8. Mai 2022)
Svenja Ludwig
Brenkhausen. Der Arzt-Job ist ja ohnehin mehr Berufung als Beruf. Für Ibrahim Moussa ist er aber noch mehr. Weil er selbst arm aufwuchs und nur durch Glück und die Unterstützung seiner älteren Brüder überhaupt zur Schule gehen konnte, gibt er Jahr für Jahr seine 30 Tage Urlaub, um die Ärmsten zu behandeln und zu operieren. Dazu reist er in Krisengebiete wie den Gazastreifen und dorthin, wo Korruption an der Tagesordnung ist, und verhindert, dass ein Land auf die Beine kommt.
„Der Kongo ist genau der richtige Ort“, sagt Moussa. Genau der richtige Ort für das Hammer Forum, für das er sich seit zwölf Jahren engagiert. Der Initiative vertraut er. Nur wenige festangestellte Mitarbeiter, dafür viele, die ehrenamtlich tätig sind. Außerdem sei nachvollziehbar, wo das Geld landet, das andere geben, um das Hammer Forum zu unterstützen. „Das wollen die Menschen, die spenden, von mir wissen.“ Das Forum hat in einer kleinen Stadt im Kongo, Kikwit, ein Zentrum aufgebaut, in dem die Einheimischen behandelt werden. Vor allem Kinder, aber Moussa macht auch klar: „Wir schicken niemanden weg.“
Die Arbeit von Ibrahim Moussa ist dabei unverzichtbar
Die Arbeit von Ibrahim Moussa ist dabei unverzichtbar. Er ist Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurg – eine Facharztrichtung, die es im Kongo nicht gibt, wie er sagt. Er kümmert sich um Miss- und Fehlbildungen, Verbrennungen nach Unfällen zum Beispiel und Tumore. Operiert wird in einem Gebäude, das nach deutschen Maßstäben ohne Weiteres zum Abriss freigegeben werden könnte. Dabei hat das Hammer Forum dort zuletzt viel investiert, etwa in eine Photovoltaikanlage auf dem Dach für Strom in den OP-Räumen und auf der Kinderstation gesorgt oder neue OP-Betten und -Lampen angeschafft. Dennoch fehlt es an elementaren Dingen. Aufwachräume oder eine Intensivstation gibt es nicht. Die Kinder, die operiert wurden, erwachen Schulter an Schulter auf einer einzigen Matratze.
An den OP-Tischen geht es beinahe zu wie am Fließband. 35 Lippen- und Gaumenspalten operiert Moussa in der Woche, wenn er zu festen Terminen zweimal im Jahr im Kongo ist. Wem aus Zeitgründen nicht geholfen werden kann, wandert auf die Warteliste. Die Menschen kommen dabei nicht nur aus Kikwit, einer Stadt, 480 Kilometer auf freundlich ausgedrückt holprigen Straßen von der Hauptstadt Kinchasa entfernt, mitten im Dschungel. „Da sind Schlaglöcher, die sind einen Meter tief – wirklich, einen Meter.“ Die Reise selbst ist für Moussa das Beschwerlichste an seinen Einsätzen. Das hat mit der Qualität der Straßen zu tun, aber auch mit der Korruption. Das geht schon am Flughafen los. Die Leute wollen Geld. Und geht auf der Busreise bis Kikwit weiter. Immer wenn eine Distriktgrenze überfahren werden soll, fangen die Leute dort das Diskutieren an. Wenn es schlecht läuft, verliert der Busfahrer pro Grenzübertritt 30 Minuten Zeit. Bei acht Stationen macht das vier Stunden und ein Vielfaches mehr an Nerven.
Das Coronavirus derweil spielt im Kongo kaum eine Rolle. 17 offizielle Fälle habe es in Kikwit gegeben, als er im November dort war, berichtet Moussa. Am Flughafen sei er noch auf das Virus kontrolliert worden. Im Land „waren wir die Einzigen, die eine Maske trugen“. Trotz all der Widrigkeiten ist 2022 für Moussa bereits wieder verplant. Jetzt im Mai geht’s nach Somaliland, im August in den Gazastreifen, im Oktober wieder in den Kongo. Dieses Programm allerdings kann Moussa nicht mehr lange durchhalten. Er ist 63. Ab 2023 will er seine Hilfseinsätze etwas reduzieren. Dann hätte er, erstmals seit einigen Jahren wieder ein paar freie Tage für sich.
Bisher hat er die den Ärmsten geschenkt, weil er weiß, wie es ist, arm zu sein. Geboren wurde Moussa in einem Dorf in Syrien. Noch für seine älteren Brüder gab es keine Schulbildung. Er hatte Glück. Er konnte in die Grundschule gehen. Der Jahrgang eins bis vier lernte dabei in einem Raum. Um die fünfte Klasse zu besuchen, musste er ein Dorf weiter. Für Ibrahim Moussa wäre dort nach zwei Jahren des Lernens Schluss gewesen, hätte die Bezirksregierung nicht verfügt, dass auch Unterricht für die Klassen sieben bis neun angeboten werden solle.
Seine Bildung verdankt er auch seinen älteren Brüdern, die selbst nicht zur Schule gehen konnten. Sie arbeiteten – zunächst im Libanon, dann in Saudi Arabien – und unterstützen die Familie finanziell. So konnte nicht nur das Gymnasium für Ibrahim finanziert werden, sondern auch das Medizinstudium in Damaskus. „Studienkredite oder Ähnliches gab es nicht. Entweder man schaffte es selbst oder gar nicht.“ Um seine Ärzte bestmöglich auszubilden, schickte der Staat die jungen Mediziner seinerzeit gerne ins Ausland. Dort sollten sie zu Fachärzten ausgebildet werden und später zurückkehren, um in Syrien zu arbeiten. So kam Moussa nach Deutschland. Doch bald danach gab es Unruhen. Moussa entschied, in Deutschland zu bleiben. „Und das war richtig, das Land ist kaputt.“
Er holte auch einige Neffen nach Deutschland. Einer ist Chefarzt der Orthopädie in Brakel. Er wird den Onkel bald auch bei der Hilfsorganisation unterstützen. Ein anderer ist Handchirurg – auch er will perspektivisch mitmachen. Ein Dritter ist ebenfalls Arzt. Weitere Neffen sind Ingenieure, einer führt mit seiner Familie ein Lebensmittelgeschäft. „All das macht mich sehr stolz.“
Wer Ibrahim Moussa und das Hammer Forum unterstützen möchte, findet weitere Informationen, die Spendenkontonummer und auch die Möglichkeit zur Onlinespende unter: www.hammer-forum.de/spenden