Wachsen in der deutschen Diaspora
Die Ukrainische Orthodoxe Kirche expandiert – nicht ohne Spannungen Von Niklas Zimmermann
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.02.2024, Politik, Seite 4
© Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH 2024.
„Auch die Ukrainer“, ruft die Gastgeberin, als es um das Gruppenfoto ging. Dabei ist Maksym Boitschura der einzige Ukrainer, der sich zu dieser Runde im Berliner Sitz der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) einfindet. Ihre Initiatoren betonen, mit ihr den Dialog von orthodoxen Geistlichen in Deutschland „wiederbeleben“ zu wollen — gerade wenn Russen und Ukrainer wegen Moskaus Angriffskrieg gegen das Nachbarland auf unterschiedlichen Seiten der Barrikaden stehen.
Der 30 Jahre alte Priester Boitschura ist nach Russlands Großangriff mit Frau und Kindern nach Deutschland geflohen. Kein Wunder, reiht er sich nur zögerlich in den Pulk ein, in dem auch die vier russisch-orthodoxen Priester stehen. Nun schreitet der koptische Bischof Damian ein, der Geschäftsführer der hier versammelten Ökumenischen Kommission für die Unterstützung orthodoxer Priester. Er holt Boitschura neben sich, und lässt die Gruppe „Kyrie eleison“ singen. Damit lockert der Bischof die Stimmung auf. Nach dem Fototermin kommt Boitschura mit dem russischen Priester Jewgenij Mursin auf dem Balkon ins Gespräch. Sie scrollen auf den Smartphones durch ihre Facebook-Profile. Ob sie nicht doch gemeinsame Bekannte haben?
Wie viel Nähe ist möglich? Wie viel Distanz nötig? Für Boitschura ist der Termin eine Gratwanderung. Denn die Lage seiner Mutterkirche ist eine Besondere. Die Ukrainische Orthodoxe Kirche (UOK) hat in der Ukraine weiter die meisten Kirchen, Klöster und Priester. Doch ihr Problem ist, dass bis Mai 2022 der Moskauer Patriarch Kyrill ihr Oberhaupt war und es nach Ansicht vieler Ukrainer immer noch ist. Die damalige Unabhängigkeitserklärung vom Patriarchen, der den Krieg gegen die
Ukraine als Verteidigung der „russischen Welt“ sieht, wird auch von staatlicher Seite angezweifelt. Ukrainische Abgeordnete drängen gar auf ein Verbot der UOK. Allerdings ist nicht klar, wie das bei Tausenden weitgehend autonomen Gemeinden umgesetzt werden könnte — und ob die EU, der die Ukraine beitreten will, ein entsprechendes Gesetz akzeptieren würde.
Diese Kirche, die in der Heimat Gläubige und Gemeinden an die konkurrierende Orthodoxe Kirche der Ukraine verliert, expandiert nun in der Diaspora. Für sie geht es nicht bloß darum, unter Millionen ukrainischer Flüchtlinge im Ausland neue Anhänger zu finden. Die Expansion soll auch der Beweis sein: Die UOK ist eine vom Moskauer Patriarchen unabhängige Kirche. Maksym Boitschura, der im April 2022 in Leipzig die erste Gemeinde gründete, nennt erste Zahlen: In Deutschland, dem Hauptzielland der ausländischen Mission, hätten sich mittlerweile 25 Pfarreien und zehn pastorale Zentren gegründet, die von 36 Priestern betreut würden. Die Weihnachtsmesse am 7. Januar in Berlin sei von rund 500 Gläubigen besucht worden.
Der Rat der Orthodoxen
Auch für die orthodoxe Diaspora in Deutschland ist die hier rasch expandierende UOK ein Rätsel. Wenn ihr Vorzeigepriester schon einmal da ist, stellen sie im EKD-Sitzungszimmer viele Fragen. Oder geben wie der zu Kyrills Moskauer Patriarchat gehörende Hyperdiakon Nikolaj Thon den „dringenden Rat“, sich in die orthodoxen Strukturen in Deutschland zu integrieren. Man müsse in der Praxis „miteinander und nicht nebeneinander arbeiten“. Fragen werden auch zur Finanzierung gestellt. Ob er Geld von seiner Kirche in Kiew bekomme? Boitschura verneint. Er sei Student der Evangelischen Theologie und lebe vom Familienstipendium, das er vom evangelischen Hilfswerk „Brot für die Welt“ dafür erhalte.
Was den Krieg gegen die Ukraine angeht, verläuft das Berliner Treffen ohne Kontroverse. Alle Anwesenden betonen, den „Frieden“ und kein Übergreifen der Auseinandersetzungen auf Deutschland zu wollen. „Wir müssen nicht sagen, wer schuld ist“, sagt Bischof Damian. Er und der pensionierte evangelische Pfarrer Jürgen Micksch, der die Kommission mit seiner Darmstädter „Stiftung gegen Rassismus“ administrativ betreut, versuchen die Gesprächsteilnehmer gar zu einer gemeinsamen Erklärung zu bewegen. Sie sollen für einen „Waffenstillstand“ und für „Gespräche“ mit Moskau und Kiew werben.
Doch zu ihrer Verabschiedung kommt es nicht. Denn bei mehreren Teilnehmern schrillen die Alarmglocken. Sie ahnen, dass die Erklärung Maksym Boitschura in Bedrängnis bringen könnte. „Ich glaube nicht an solche Verlautbarungen“. sagt Ilya Limberger von der Russisch-Orthodoxen Auslandskirche. Er befürchte gar, dass Boitschura durch seine Unterschrift gar mit ukrainischem Recht in Konflikt kommen könnte.
Störgeräusche aus Moskau
Der russische Priester Limberger versucht so, seinem ukrainischen Priesterkollegen eine Brücke zu bauen. Seine Auslandskirche ist unabhängiger vom Moskauer Patriarchen als es die Kyrill direkt unterstellten Priester sind. Umberger nimmt daher im Unterschied zu ihnen auch Stellung zu Kyrills Aussagen über die Verteidigung der „russischen Welt“ in der Ukraine. Sie seien „einseitig“. Der Patriarch täte gut daran, sich zum Krieg „neutral“ zu verhalten. Denn in die russischen Kirchen im Ausland strömen auch viele Ukrainer. Limberger sagt, die Besucherzahl seiner Gottesdienste in Stuttgart habe sich „verdoppelt“. Doch wer ist für den Krieg verantwortlich? Für Limberger ist das, wie sich im Gespräch zeigt, alles andere als klar. Er spricht von einem „Umsturz“, der 2014 in der Ukraine stattgefunden habe. Und er sieht Russen und Ukrainer weiter als „Brudervölker“.
Wie geht Maksym Boitschura damit um, wenn solche von imperialistischem Denken geprägten Aussagen fallen? Er wolle sich zu politischen Fragen „nicht äußern“, sagt der Priester. Wichtig seien ihm „geistliche Themen“ und die Seelsorge. In Russland werde die Kirche politisch instrumentalisiert. Diese Gefahr bestehe auch in der Ukraine. Seine Kirche sei „ukrainisch“. In Deutschland habe sie Gastrecht nicht etwa in russischen, sondern in evangelischen und katholischen Kirchen. Doch Boitschura, spricht auch über sein Ziel, hier in Deutschland mit den anderen orthodoxen Kirchen, einschließlich der russischen, ins Gespräch zu kommen. Seine Kirche sucht Anschluss.
Wie sehen das andere ukrainische Priester in Deutschland? An dem Berliner Treffen sollte mit Valentin Smoktunowicz ein weiterer Geistlicher aus der Ukraine teilnehmen. Der in München ansässige Priester gehört zum ökumenischen Patriarchat in Konstantinopel, das mit Kyrill im Konflikt steht. Sein Nichterscheinen begründet er mit dem Besuch seines Bischofs. „Die Priester führen keinen Krieg“, sagt Smoktunowicz. Doch Dialog dürfe nicht unter dem Einfluss „imperialistischer Ideen“ stattfinden. Gar keinen Austausch mit der russischen Orthodoxie pflegt der in Frankfurt, Mannheim und Umgebung tätige Priester Petro Bokanov. Dass die russische Kirche, deren Oberhaupt den Krieg verteidigt, hier so tue, als helfe sie ukrainischen Flüchtlingen, sei „unmoralisch“. Eine klare Meinung hat er auch zur Expansion der UOK Priester. Für ihn sind sie weiter Teil der Kirche Kyrills.
Tatsächlich ist die Frage auch für die UOK selbst kompliziert. Boitschura spricht in Berlin von der im Mai 2022 erreichten vollständigen „administrativen“ Unabhängigkeit von Moskau, doch „kanonisch“ sei das noch nicht eindeutig. Aber er sehe seine Kirche auf dem Weg zur „Autokephalie“, der vollständigen kanonischen Unabhängigkeit. In seinen Gottesdiensten kommemoriere er den Moskauer Patriarchen nicht.