Gegen Ängste und Vorurteile
(© Neue Westfälische vom 02. Dezember 2021)
Borgentreich. „Immer im Gespräch bleiben“, bemerkt Lutz Köller. Der Mann weiß, was er sagt. Doch nicht alle wissen, wie er es meint. Denn dem Leiter der Betreuung in der Zentralen Unterbringungseinrichtung, kurz ZUE, bei Borgentreich geht es bei seinen Worten nicht um die öffentliche Aufmerksamkeit, sondern um das Miteinander. Jetzt auch unter dem etwas sperrigen Begriff „Umfeldmanagement“. Konkret: Die Malteser, die im Auftrag der Bezirksregierung die ZUE betreiben, bieten regelmäßige Sprechstunden in der Einrichtung am Maihof für Bürger und Interessierte an. Dafür wurde eigens eine Stelle geschaffen, die sich Ellen Sickes-Lange und Martina Mlody teilen. Sie wollen Begegnung schaffen und ermöglichen. „Oder einfach Dinge aufnehmen, die Bürger immer schon mal loswerden wollten“, sagt Mlody. Die 62-Jährige ist ausgebildete Kommunikationstrainerin, hat in Bad Karlshafen einige Jahre lang die Flüchtlingsunterkunft geleitet und war als ehrenamtliche Integrationslotsin aktiv. Sickes Lange, diplomierte Sozialpädagogin, kümmerte sich bereits seit sechs Jahren als Ehrenamtskoordinatorin um das Netzwerk in der Einrichtung. Die 48-Jährige weiß um die vielen gelungenen Aktionen, die es seitdem mit Geflüchteten und Ortsansässigen gab, weiß um das Engagement der Borgentreicher Vereine, Schulen, Kitas, Gruppen und Einzelner. Ein Miteinander, das seit der Eröffnung der ZUE für Asylbewerber auf dem Gelände der ehemaligen Desenberg-Kaserne im Oktober 2014 gewachsen ist. Nicht zuletzt aufgrund der Ordnungspartnerschaft, bestehend aus Vertretern der Stadtverwaltung, der Bezirksregierung, der Malteser, der Polizei, der Feuerwehr und des Sicherdienstes, die ins Leben gerufen wurde. Zum Beirat gesellten sich Ortsvorsteher, Vereins- und Kirchenvertreter.Die Bürgerschaft sei „insgesamt sehr aufgeschlossen und kooperativ“, betont Köller. Doch liege derzeit pandemiebedingt vieles auf Eis. Infolge der allgemein geltenden Corona-Regeln seien die Betreuungsangebote in der Unterkunft eingeschränkt, berichtet Peter Westphal, Pressesprecher der Bezirksregierung. Dadurch seien die Eltern „stärker als sonst“ gefragt. In der Einrichtung leben aktuell 86 Kinder und Jugendliche. Zwar kümmerten sich die mehrsprachigen Betreuungskräfte weiterhin um die Bewohner, aber die organisierten Aktivitäten und Programme wie Deutschkurse, Kinderstube, Sport, Bewoh-nerkochen müssten fortlauend an die jeweils geltenden Corona-Regeln angepasst oder zum Teil auch vorübergehend ausgesetzt werden.
»Um durchstarten zu können«
Das 40-köpfige Team der Betreuung leistet auch Hilfestellung bei der Berufsfindung. Asylbewerber in den Arbeitsmarkt zu integrieren, ist Leiter Lutz Köller wichtig. „Um durchstarten zu können“, sagt er. „Durchstarten“, so sei auch ein Projekt des Kommunalen Integrationszentrums im Kreis Höxter überschrieben. Gesucht werden Firmenchefs, die für Qualifizierungsmaßnahmen beispielsweise Praktikumsplätze stellen. „Gern auch mehr“, sagt Köller. „Im besten Fall auch eine Ausbildung ermöglichen.“ Über die neuen Umfeldmanager Sickes-Lang und Mlody lernen nicht nur Borgentreicher Bürger die ZUE kennen: „Auch unsere Bewohner lernen das Umfeld kennen“, sagt Mlody. Sie schaut sich mit Geflüchteten Stadt und Region an, auch um sprachliche Eindrücke zu klären. Zu wissen, was beispielsweise „Supermarkt“ oder „Radweg“ bedeute, schaffe eben Vertrauen. Ebenso wie sich persönlich anzunähern. Die Vorsicht vor dem Fremden führe zu Angst und Vor-urteil. „Das gilt für beide Seiten“, sagt Sickes-Lange. Für den Alteingesessenen wie den Neuankömmling. Der Gang in die Stadt: „In Gruppenstärke“, sagt Sickes-Lange. „Alles ist neu, würden Sie da nicht auch gern zu mehreren gehen, um sich selbst sicherer zu fühlen?“ Sickes-Lange, Mlody und Köller werben um Verständnis und eine gesunde Portion Sensibilität. Loben die Offenheit innerhalb der lokalen Bürgerschaft, die von Anfang an da gewesen sei und von der sie hoffen, „dass es weiter so läuft, um das Fremde untereinander abzubauen“. Allein die hohe Spendenbe- reitschaft in den Jahren zeuge von der Empathie, sagt Köller. Aktuell ist das Team dankbar für Koffer, Autositzschalen für Kinder, Bekleidung und Schuhe (besonders in kleineren Männergrößen). Mlody fordert eine offene Kommunikation, offen auch für Konflikte. „Wir leben halt alle hier“, bemerkt sie. Eine Möglichkeit, um miteinander ins Gespräch zu kommen, seien die Sprechstunden – „kontinuierlich in jeder Woche“. Die Ansprechpartnerinnen für Bürger und Bewohner setzen auf gegenseitige Neugier, betonen Gemeinsamkeiten und Anknüpfungspunkte. Die Aufenthaltsdauer der Asylantragsteller in der ZUE hängt unter anderem von den Asylperspektiven ab. Grundsätzlich gelte, „dass Familien mit Kindern maximal sechs Monate in den Landeseinrichtungen wohnen“, sagt Peter Westphal. Doch seien in den Landeseinrichtungen Bewohner mit geringer Bleibeperspektive oder abgelehnte Asylantragsteller auch bis zu zwei Jahre untergebracht. Eine lange Zeit: Für Kinder von Ge-flüchteten, die einen Asylantrag gestellt haben, besteht für den vorübergehenden Aufenthalt keine Schulpflicht. Bei den Jüngsten springe die „Kinderstube“ ein, sagt Köller. Für die Palette des schulnahen Bildungsangebots, das die Malteser-Betreuer bieten, versprach das Land Lehrkräfte.