„Für dich trinke ich gerne einen Schluck Bier“

www.evs-online.org | Schneller Magazin 01/2022 )

Ein Gespräch über Humor, die Liebe zu Deutschland und die Sonne Ägyptens

Bischof Anba Damian ist offizieller Vertreter der Koptischen Kirche in Deutschland. Dass er im schwarzen Habit auffällt, nutzt er als Möglichkeit, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Sogar mit der schwäbischen Kehrwoche kennt der 66-Jährige sich aus, der sich Deutschland so verbunden fühlt, dass er hier einmal begraben werden möchte.

Sie selbst vereinen unterschiedliche Identitäten in sich: Koptisch, ägyptisch, deutsch und vielleicht auch noch andere. Welche hat die Oberhand?

Keine. Ich bin ein Kind Gottes!

Okay, dann formuliere ich meine Frage anders. Sie leben seit 40 Jahren in Deutschland. Würden Sie sich als ein koptischer Deutscher oder als deutscher Kopte bezeichnen?

Meine religiöse und konfessionelle Identität ist eindeutig: Ich bin Mitglied und Diener der Koptischen Kirche und bin sehr dankbar dafür. Ich fühle mich sehr bereichert durch das Leben in der Kirche. Dass ich in Deutschland leben kann und darf, sehe ich wiederum als Privileg. Ich liebe dieses Land, ich liebe die Deutschen und ich möchte hier begraben werden. Meine Grabstätte habe ich bereits im Kloster Brenkhausen ausgesucht.

Was lieben Sie an Deutschland?

Ich habe Hochachtung vor diesem Volk, seiner systematischen Denkweise, der Ehrlichkeit, seiner Klarheit, die eigenen Grenzen zu erkennen, seiner Wissenschaft, seinem kultivierten Verhalten. Ich fühle mich nirgends auf der Welt so wohl wie hier.

Das ist ein deutliches Bekenntnis. Wir Deutschen neigen ja eher dazu, unser Land zu kritisieren.

Mein Bekenntnis kommt von Herzen. Ich schätze an den Deutschen, dass sie keine falsche Übertreibung kennen. Sie haben in meinen Augen eine emotionale Reife, sind fair, helfen und ermutigen, damit Talente zur Geltung kommen können.

Das war nicht immer so…

Deutschland hat sich in den letzten Jahrzehnten enorm entwickelt. Als ich vor 40 Jahren als junger Arzt hierhergekommen bin, war ich ein Exot. Heute ist Deutschland viel internationaler geworden. Euer Schicksal als hochgebildetes Volk ist, dass ihr immer nach Perfektion strebt. Deswegen seht ihr die eigenen Schattenseiten deutlicher. Was den Deutschen vielleicht fehlt, ist ein bisschen Humor.

Dafür gibt es davon mehr als genug in Ägypten. Da können die Menschen über alles und jeden lachen.

Aber man muss das richtig verstehen. Papst Schenuda hat seinerzeit bei seinen wöchentlichen Ansprachen, zu denen Tausende von Menschen kamen, viele Witze erzählt. Da wurde in der Kathedrale oft schallend gelacht. Er hat aber auch gesagt: „Auch mein Lachen ist Ausdruck meines Weinens.“ Mit Humor lässt sich viel Elend aushalten und Konflikte lassen sich lösen. Humor ist der Stil eines Volkes, dessen Bildungsgrad nicht sehr hoch ist. In meiner Heimat sind 40 Prozent der Erwachsenen Analphabeten. Mit Humor kann man ihnen vieles verständlich machen. In Witzen steckt oft viel Weisheit.

Als koptischer Bischof fallen Sie in Deutschland immer auf. Ihre Kleidung wirkt für die meisten befremdlich. Welche Reaktionen haben Sie schon erlebt?

Alles Mögliche, ich könnte Bücher damit füllen. Gerade in der Adventszeit denken manche Kinder, ich sei der Nikolaus. Deswegen habe ich auf Reisen immer kleine Kreuze oder Schokolade bei mir, die ich dann weitergeben kann. Manche sind aber auch überfordert, wenn sie mich sehen. Kurz nach dem 11. September 2001 war ich im Zug von Stuttgart nach Tübingen. Eine Gruppe Jugendlicher saß im gleichen Waggon und ich hörte, wie sie anfingen zu lästern. Osama Bin Laden sei im Zug, mit so einem langen Bart, in dem Köfferchen sei sicher eine Bombe usw. Plötzlich drehte sich einer mit einer Bierdose zu mir um und sagte provozierend, dass ich das ja wohl nicht trinken würde. Ich sagte freundlich, dass ich ehrlicherweise Bier nicht so gerne mag.
Für ihn würde ich aber einen Schluck nehmen. Das hat ihre Herzen geöffnet und wir hatten ein wunderbares Gespräch bis Tübingen. Beim Aussteigen wollten sie unbedingt ein Foto mit mir machen. Sie haben mich liebevoll verabschiedet und sich für ihre erste Reaktion entschuldigt.

Wer als Deutscher nach Ägypten kommt, staunt, welch wichtige Rolle die Religion – egal ob muslimisch oder christlich – im All – tag der Menschen spielt. Kann man im säkularen Deutschland wirklich Kopte sein?

Ich habe eine komplette Gemeinde ausgebürtigen Deutschen. Mit ihnen könnte ich eine ganze Kirche füllen.

Wer sind diese Leute?

Menschen, die eine tiefe Beziehung zur koptischen Kirche aufgebaut haben. Manche waren vorher keine Christen, hatten keine Religion. Andere sind in einer anderen Kirche aufgewachsen. Mir geht es aber nicht darum, andere Christen abzuwerben.

Warum nicht?

Weil man sonst die Ökumene kaputt macht. Die Einheit der Kirchen braucht als Basis das Vertrauen untereinander. Wenn also jemand ein Problem mit seinem Pfarrer hat und gerne zu uns kommen möchte, versuche ich, zu schlichten. Wer sich uns anschließen will, muss deswegen nicht seine Kirche verlassen.

Dann bieten Sie gewissermaßen die doppelte Kirchenzugehörigkeit an.

So könnte man das nennen. Wenn jemand 40 Jahre in seiner Kirche war, kann ich doch nicht verlangen, dass er diese Identität einfach ablegt, um mit uns die Kommunion feiern zu können. Man kann niemanden auf Knopfdruck zu einem orthodoxen Christen machen.

Doch die meisten Menschen in Ihren Gottesdiensten haben eine sogenannte Bindestrich-Identität, sind Deutsch-Ägypter oder Deutsch-Kopte. Welche seelsorgerlichen Fragen ergeben sich daraus?

Egal, in welchem Kontext die Menschen leben, wir sind immer für sie da und suchen die Nähe zu jedem einzelnen. Wir begleiten sie in allen Lebensphasen, besuchen sie zuhause, bei der Arbeit, wenn sie im Krankenhaus oder im Gefängnis sind. Wenn jemand Sorgen hat, kann ich ihn oder sie nur beraten, wenn ich das ganze Umfeld kenne. Das muss ich als Seelsorger mit einbeziehen, sonst taugt mein Ratschlag nichts.

Wenn Menschen aber ihre Heimat verlassen und sich in einem fremden Land und in einer fremden Kultur ein neues Leben aufbauen, bringt das spezifische Probleme mit sich, unter denen die Menschen leiden.

Natürlich. Da gibt es Probleme mit der Aufenthaltsgenehmigung, mit der Akzeptanz, mit der Sprache oder der Bereitschaft zu lernen, mit der Gesundheit, der Bildung, der Beziehung zu Familienangehörigen in Ägypten, oder mit der Sauberkeit.

Mit der Sauberkeit?

Ja, klar. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. In meinen ersten Jahren als Arzt in Deutschland teilte ich mir mit meiner Schwester
in Stuttgart-Ost eine kleine Wohnung. Unsere Mutter aus Ägypten besuchte uns. Und als ich an einem Samstag anfing, in dem Haus die große Kehrwoche zu machen, brach sie in Tränen aus. Sie konnte nicht verstehen, dass ihr einziger Sohn, der es bis zum Arzt geschafft hatte, jetzt in Deutschland für andere das Treppenhaus wischte. Das hat sie als Entwürdigung empfunden. Dabei ist in Schwaben die Kehrwoche ganz normal.

Sie leben seit Jahrzehnten in Deutschland.
Was fehlt Ihnen?

Mir fehlt die Sonne. Je älter ich werde, desto mehr merke ich, welche Auswirkungen das auf meine Gesundheit hat.

Und wenn Sie in Ägypten sind, was fehlt Ihnen dann?

Sehr viel. Zuallererst meine Freunde. Aber auch die Würde, die Freiheit, die Ordnung, die Disziplin, das saubere Leitungswasser, die frische Luft, die grüne Natur, die Ruhe, die Spaziergänge im Wald. Und ich vermisse mein Fahrrad. In Ägypten könnte ich nie mit dem Rad fahren, ohne ausgelacht zu werden.

Das Gespräch führte Katja Dorothea Buck.

 

Das Kloster Anba Bishoy, hundert Kilometer westlich von Kairo, ist Bischof Damians Heimatkloster in Ägypten. Foto: Katja Buck

In Höxter-Brenkhausen bei Holzminden liegt das Kloster der Heiligen Jungfrau Maria und des Heiligen Mauritius, der Sitz des Bischofs. Foto: Uwe Gräbe