„Der Magen soll ruhig knurren“

Welt vom 02.3.2022) Von Till-Reimer Stoldt

Bischof Anba Damian übt sich in der Woche vor der Fastenzeit schon mal in veganer Kost
Quelle: Ralf Meier

Für die meisten Christen fängt heute die Fastenzeit an. Schon zwei Tage früher hat sie für koptische Christen begonnen. Der koptische Bischof Anba Damian erklärt, wie er durch sein veganes Beinhart-Fasten frei werde und dem Göttlichen nahe komme.

Die Kopten sind die schnellsten. Während Katholiken und Protestanten noch bis zum heutigen Aschermittwoch auf den Fastenbeginn warteten, rief die koptische Kirche ihre Gläubigen bereits Rosenmontag zum Fasten auf – und zwar zu einem anspruchsvollen Fasten mit Hunger und Durst. Darauf liege „ein gewaltiger Segen“, erklärt Anba Damian, Mediziner, Theologe und Bischof der rund 20.000 ägyptischstämmigen Christen in Deutschland.

WELT: Herr Bischof, anders als die großen Kirchen warten Sie nicht den Karneval ab, bevor Sie die Fastenzeit beginnen. Haben Sie für Karneval nichts übrig?

Bischof Anba Damian: Karneval mit Kostümen und Alkohol ist den meisten Kopten eher fremd. Aber auch wir haben am Sonntag noch einmal ein bisschen gefeiert, bevor wir am Montag zu fasten begonnen haben.

WELT: Sie haben es krachen lassen?

Damian: So würde ich es nicht bezeichnen. Unsere Feier nennt sich Agape-Mahl, also Liebes-Mahl. Die Familien treffen sich, grillen und speisen gut. Vor allem aber widmen wir diesen Tag unseren Kindern und spielen mit ihnen.

WELT: Bevor es dann ans Fasten geht. Das koptische Fasten gilt als eines der härtesten der christlichen Welt.

Damian: Das klingt nach Zwang und Krampf. Unser Fasten ist aber freiwillig und schön.

WELT: Anders als die meisten europäischen Christen verzichten Kopten oft weite Teile des Tages auf Nahrung.

Damian: Viele Kopten enthalten sich vom Abendbrot an, spätestens ab 20 Uhr, bis zum Nachmittag des Folgetages aller Speisen. Manche beenden das Fasten gegen 14 Uhr, andere gegen 18 Uhr.

WELT: Und um 20 Uhr beginnt schon das nächste Fasten. Klingt strapaziöser als das muslimische Ramadan-Fasten.

Damian: Unser Fasten ist sehr flexibel. Eine Schwangere oder ein Diabetiker werden nicht lange fasten. Die meisten Kopten haben einen Beichtvater, mit dem sie besprechen, wie lange sie auf Nahrung verzichten können, ohne ihrer Gesundheit oder Leistungskraft zu schaden. Die Leute sollen aber nicht nur fasten, sondern auch beten, in der Schrift lesen, meditieren und sich besinnen. Der Verzicht auf Lebensmittel ist nur ein Teil eines Pakets.

WELT: Was gehört noch in dieses Paket?

Damian: Der Verzicht auf alles, was mich zerstreut und an innerer Sammlung hindert. Das betrifft auch den Medienkonsum. Horrorfilme passen nicht in die Fastenzeit.

WELT: Bis Ostern verzichten Sie auch auf tierische Produkte wie Fleisch, Fisch, Eier, Butter, Käse.

Damian: Wir leben vegan. Entbehrungsreich ist das aber nicht. Die Küche des Orients bietet sehr viele schmackhafte vegane Gerichte! Außerdem sind in der veganen Küche fast alle Wirkstoffe enthalten, die der Körper braucht.

WELT: Aber nur fast.

Damian: Für ein paar Wochen schadet das sicher nicht. Im Gegenteil. Es ist eine Wohltat für den Körper. Er blüht auf, weil er durch den Fleischverzicht viel weniger Giftstoffe, Hormone und Medikamente zu sich nimmt. Dieser Wechsel von fleischhaltiger und fleischloser Kost entspricht den Empfehlungen heutiger Ernährungswissenschaft. Auch Phasen der Nüchternheit sind gesund.

WELT: Am Anfang des Fastens dürften Sie trotzdem von Hunger und Durst geplagt werden, oder?

Damian: Natürlich, anfangs gehört das dazu, der Magen soll ruhig knurren. Aber das ist eine Frage der Gewöhnung. Wir steigern die Anzahl der nüchternen Stunden allmählich. Es wäre unklug, mit einer extrem langen Fastenzeit von, sagen wir, 20 bis 18 Uhr zu starten.

WELT: Welche Effekte hat das Fasten noch – außer dass es gesund sein kann?

Damian: Es macht frei. Man muss im guten Sinne einen Kampf führen, um Selbstbeherrschung zu erlernen. Fasten ist ein selbsterzieherischer Prozess. Von dieser Kraft profitiert man auch anschließend. Frei sind die Fastenden auch, weil sie es schaffen, nicht vom Körper kontrolliert zu werden, sondern den Körper zu kontrollieren. Es ist ein unbeschreiblich schönes Erlebnis, wenn man die Begierden des Leibes im Griff hat – und nicht umgekehrt.

WELT: Insofern ist Ihr vorösterliches Fasten auch für Atheisten attraktiv. Auch die schätzen Gesundheit und Selbstbeherrschung.

Damian: Stimmt, der entscheidende Gewinn dieser Zeit besteht allerdings darin, dass wir etwas lernen, wenn wir unserem Vorbild Christus folgen, der 40 Tage in der Wüste fastete.

WELT: Was lernen Sie?

Damian: Er hat uns gezeigt, wie Menschen sich vorbereiten müssen, um die Nähe, um eine Botschaft Gottes zu empfangen. Genauso wie Mose, der 40 Tage fastete, bevor ihm die Zehn Gebote offenbart wurden.

WELT: Und? Welche Botschaft haben Sie empfangen?

Damian: Der Geist Gottes in seiner Liebe teilt sich in der Stille mit, nicht im Trubel. Wenn wir fasten, kommen wir zur Ruhe, lernen hinzuhören und Gottes Nähe zu spüren. Unsere Sensibilität steigert sich während des Fastens. Wir sind konzentrierter, empfänglicher und wacher. Wenn man sich ständig den Magen füllt, fließt viel Blut in den Magen-Darm-Trakt, dann bleibt nicht mehr so viel übrig für das Hirn.

WELT: Bedauern Sie es bei all diesen Vorzügen nicht, dass die großen Kirchen Europas das Fasten meist lockerer praktizieren?

Damian: Nach dem zweiten vatikanischen Konzil 1965 wurde die Bedeutung des Fastens in der katholischen Kirche deutlich reduziert. Auch in evangelischen Kirchen ließ die Wertschätzung des Fastens nach. Aber heute kommen unsere Schwesterkirchen wieder auf uns zu und stellen fest, dass ihnen etwas verloren gegangen ist. Das freut mich.

WELT: Was halten Sie vom Klimafasten, das vor allem evangelische Landeskirchen dieses Jahr praktizieren?

Damian: Klimafasten?

WELT: In der einen Woche sollen die Gläubigen darauf achten, weniger Strom beim Kochen zu verbrauchen, in der anderen Woche sollen sie Lebensmittel möglichst aus der Region verspeisen.

Damian: (Der Bischof grübelt kurz) Wenn ich weniger esse, wird automatisch auch der Energieverbrauch gesenkt. Und wenn ich über Wochen auf Fleisch verzichte, senkt das indirekt den CO2-Ausstoß. Insofern verfolgen Kopten und Protestanten ein gemeinsames Ziel.

WELT: Fehlt Ihnen die spirituelle Dimension, wenn Fasten aufs Stromsparen reduziert wird?

Damian: Wir Kopten fasten anders. Aber ich kritisiere diese Unterschiede nicht, dafür schätze ich unsere evangelischen Schwesterkirchen viel zu sehr.

WELT: In unseren Breiten fasten auch Katholiken meist, indem sie nur auf ein bestimmtes Genussmittel verzichten, etwa auf Süßigkeiten oder Kaffee. Ist das zu wenig ambitioniert?

Damian: Nein, ich finde es gut, wie die katholischen Geschwister das Fasten betreiben. Es klingt zunächst nach wenig, wenn man nur auf Kaffee oder Schokolade verzichtet. Aber das täuscht. Manche Menschen sind so abhängig davon, dass es für sie eine gewaltige Leistung und Befreiung darstellt, wochenlang ohne Kaffee oder gar ohne Handy zu leben. Haben Sie das schon mal probiert?