Begleitung auf dem letzten Lebensweg

Pilgernde Palliativpatienten zu Gast in Brenkhausen – Im Kreis Höxter engagiert sich ein Verein um den Vorsitzenden Stoltz.
Westfalen-Blatt vom 17. August 2024)
Von Kevin Müller

KREIS HÖXTER (WB). Zum sechsten Mal empfängt das koptische Kloster Brenkhausen eine besondere Pilgergruppe: Zusammen mit Palliativmediziner Dr. Volker Eissing besuchen 50 teils schwerstkranke Reisende das Weserbergland auf einem ihrer letzten Wege im Leben.

Gut gelaunt, ständig mit einem Lächeln auf dem Gesicht und zusammen vor den Toren des koptischen Klosters Brenkhausen Kaffee und Kuchen genießend: Wer die neue Pilgergruppe, die seit Mittwoch im Kloster zu Besuch ist, beobachtet, könnte sie mit einer großen Urlaubsgruppe verwechseln. Tatsächlich hat die Reise aber einen anderen, größeren Grund: die Selbstfindung auf einer der letzten Reisen im Leben.

Denn viele der Teilnehmerinnen und Teilnehmer treten die Reise mit Schicksals-Diagnosen an: Krebserkrankungen, Tumore sowie weitere unheilbare Krankheitsbilder einen etwa die Hälfte der rund 50 Pilgerinnen und Pilger auf ihrer Reise in das Weserbergland.

Schlechte Laune oder deprimierte Gesichter sucht man ob der Erkrankungen jedoch vergebens: Die Reise gilt der gemeinsamen Akzeptanz und der folgenden Erleichterung. Organisator der Pilgerreise ist Allgemeinmediziner Dr. Volker Eissing.

Der 63-jährige Arzt aus Papenburg veranstaltet seit 38 Jahren mit Patienten die Reise, die jahrzehntelang die französische Wallfahrtsstätte Lourdes als Ziel hatte. Die mittlerweile 41. Reise führt

die Gruppe nun zum sechsten Mal in das koptische Kloster in Brenkhausen – sehr zur Freude von Bischof Anba Damian. Erstmalige Besucher sowie bekannte Gesichter heißt der Bischof dabei mit einem breiten und wärmstens erwiderten Lächeln im Weserbergland willkommen.

Auch den „Vater der Idee“, wie er Dr. Volker Eissing nennt, begrüßt er zum Auftakt des fünftägigen Aufenthalts. „Er ist ein Arzt, der den Menschen als Ebenbild Gottes betrachtet. Er setzt sich mit ihnen in ernsten Momenten ehrlich auseinander“, erzählt der Bischof und fährt fort: „Volker Eissing ist ein Arzt für die Seele: Er ist mutig und spricht die Menschen direkt.“

Büro im Südflügel trägt Eissings Namen

„Es ist also kein Wunder, dass mein Büro so heißt wie er“, spielt Damian auf den nach Eissing benannten Anbau des Kloster-Südflügels an. „Eure Anwesenheit ist ein Segen für den ganzen Kreis – ich grüße Euch aus der Tiefe meines Herzens“, sagt Damian und eröffnet die gemeinsame Zeit im Kloster.

In Papenburg leitet Dr. Eissing das medizinische Versorgungszentrum Birkenallee mit 104 Arzthelferinnen und Arzthelfern. Die jährlichen Reisen mit teils Schwerstkranken stehen dabei unter eigenen Mottos.

Dazu erzählt der Arzt: „In diesem Jahr ist der Titel ‚Weltbe-weg-end‘, mit den Worten Welt und Weg ergänzt durch die englischen Begriffe to be (sein) und to end (enden). Auf den Reisen sollen die Pilger sich immer auch Fragen stellen wie: Was ist für mich weltbewegend? Wo sind wir bewegend für die Welten anderer Menschen?“

Dabei soll es auf der Fahrt darum gehen, bei Schwerstkranken das Vertrauen zu wecken, dass sie auch auf ihrem letzten Weg stets begleitet werden: Es soll nicht über Tabletten und Medikamente diskutiert werden, sondern über das, was auf einen zukommt.

„Jemanden dazu zu bringen, sich darauf einzulassen, verändert alles“, sagt Eissing und erzählt weiter: „Wenn man bei sich selbst ankommt und nicht ständig innerlich kämpft, kommt man auf dem letzten Weg auch mit weniger Medikamenten aus.“

Palliativmedizin im Kreis Höxter

Palliativmedizin spielt auch in dieser Region eine große Rolle: Mit dem „Palliativ Netz im Kreis Höxter“ kümmert sich ein Verein mit Unterstützung von Ärzten, Koordinatoren, Pflegeteams und weiteren Helfern um die Begleitung für Angehörige und Betroffenen im letzten Lebensabschnitt.

Leitender Palliativmediziner des Vereins ist der Fürstenauer Arzt Dr. med. Michael Stoltz. Im Gespräch mit dem WESTFALEN-BLATT ist er sich sicher: „Für die Betroffenen ist die Palliativmedizin wichtig, um die verbliebene Lebenszeit nach ihrem Wunsch zu gestalten.“

Am 11. November 2008 wurde der Verein gegründet. 16 Jahre später sieht ihn der Arzt gut aufgestellt. Als „umsichtig und gut“ beschreibt er die Vereinsarbeit und verweist auf die Auswertung von Umfragen, die das Team mit Leuten durchführt, deren Angehörige in palliativer Begleitung Zuhause verstorben sind. So erzählt Stoltz von über 90 Prozent der begleiteten Fälle, bei denen die Angehörigen etwa von Besserungen der Beschwerden der Betroffenen berichten.

Etwa 2000 Menschen verstarben im Kreis

Die positiven Rückmeldungen bei den Umfragen, die etwa ein halbes Jahr nach der palliativen Begleitung mit den Angehörigen abgestimmt werden, bestätigen laut Stoltz, dass die Arbeit gut angenommen wird.

2022 sind laut Kommunalprofil des Kreises Höxter 1997 Menschen gestorben. „Wir betreuen in der letzten Lebensphase 500 bis 600 Menschen pro Jahr – gut ein Drittel dieser Menschen also“, sagt Stoltz. Gerade im Landesvergleich sei dies eine gute Zahl für den Verein.

„Der Kreis ist sehr ländlich geprägt, was oftmals Probleme der Erreichbarkeit mit sich zieht“, so der Palliativmediziner. Vor 15 Jahren sei Palliativmedizin noch ein Fremdwort im Kreis gewesen – auch für Ärztinnen und Ärzte. Damals seien Patienten laut Stoltz noch routinemä- ßig an die Krankenhäuser weitergeleitet worden, wodurch 60 bis 70 Prozent der Patienten nicht Zuhause bei der Familie, sondern in stationärer Behandlung verstorben seien. „Bei uns sind es mittlerweile weniger als zehn Prozent der Begleiteten, die in Hospizen oder vergleichbaren Einrichtungen sterben“, sagt Michael Stoltz.

Die Palliativversorgung hat sich dabei zu einem Patientenrecht weiterentwickelt und wird für Patienten auch durch Leistungen der Krankenkassen unterstützt. „Das wird auch oft in Anspruch genommen“, berichtet der Palliativmediziner.

Doch wie landete die Pilgerreise im Weserbergland? „Lourdes wurde zu teuer. Als wir uns an verschiedene Kloster gewandt haben, war das Kloster in Brenkhausen eines von zwei, die uns eingeladen haben“, erklärt der Arzt.

Versorgung ist keine Einzelleistung

„Die Palliativmedizinische Versorgung ist dabei nie eine Einzelleistung. Unsere Koordinatoren, Pflegedienste und Palliativärzte sind hochmotiviert“, sagt Stoltz.

Gerade die Palliativpfleger von „Jung und Alt“, der „Alten- und Krankenpflege zu Hause Ludwig“ oder die Caritas, aber auch die ehrenamtlichen ambulanten Hospizgruppen seien unverzichtbar für das Netzwerk.

Unter der kostenlosen Notrufnummer 0800 / 6646840 ist rund um die Uhr ein Palliativmediziner des Vereins erreichbar.

Zwischen Gottesdienst und Predigt sei man in der Spiritualität des Klosters gut aufgehoben. „Diese fünf Tage ver- ändern die Pilger“, ist sich Eissing sicher und spricht von einer „guten Mischung“ zwischen Schwerstkranken und Mitreisenden aus Interesse: „Wir haben jedes Alter und jede Konfession dabei.“