Ein mittelloser Flüchtling verändert die Welt

Am 8. Juni starb der ehemalige Bundesumweltminister und Ehrenbürger der Stadt Höxter, Klaus Töpfer. Nun haben sich Familie, Freunde, Weggefährten und die Stadt von ihm verabschiedet
Neue Westfälische vom 24. Juni 2024)
von Svenja Ludwig (Text) und Thomas Kube (Fotos)

Höxter. Die Stadt steht für einige Minuten still, als wolle auch sie sich von ihrem Ehrenbürger verabschieden. Gegen 15 Uhr am Samstag, als die Trauerfeier für Klaus Töpfer in der Kirche St. Nikolai in der Innenstadt beendet ist, ziehteinlangerTrauerzugüber die Westerbachstraße und die Kreuzung Lütmarser Stra- ße/Godelheimer Straße zum Friedhof Am Wall. Die Polizei hat alles abgesperrt. Die Automotoren schweigen. Abgesehen von dem in dem Wagen, der den Sarg am Kopf des Zuges transportiert. Es folgen Ministranten, eine Fahnenabordnung der Vierten Kompanie der Höxteraner Schützengilde, in der Töpfer Ehrenmitglied war.

Passanten entlang der Strecke schauen den Schwarzgekleideten hinterher. Zuvorderst die Familie. Dann die geladenen Gäste. Ministerin Mona Neubauer, stellvertretenden Ministerpräsidentin des Landes Nordrhein-Westfalen, vertritt die Landesregierung bei diesem traurigen Termin im östlichsten Zipfel des Landes. Die lokale Politprominenz folgt. Geschäftsleute entlang der Westerbachstraße legen für einen Moment ihre Arbeit nieder, stehen in den Eingängen zu ihren Ladenlokalen und beobachten, wie schließlich auch die Trauergemeinde langsam an ihnen vorbei zieht. Nicht jeder, der Töpfer auf seiner letzten Reise begleitet, war zuvor auch in der Kirche. Viele Höxteranerinnen und Höxteraner hatten auf dem Marktplatz gewartet. Manche schlossen sich dem Zug danach an.

Klaus Töpfer war vieles. Bundesumweltminister und Bundesbauminister im Kabinett Helmut Kohl, Exekutivdirektor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen, promoviert und habilitiert, ein echter Experte für Umweltfragen, ein eloquenter Politiker, ein Christdemokrat, der parteiübergreifend geschätzt wurde. „Er war nicht nur der brillante Denker und Politiker, der lebenskluge Mann“, sagt Schulfreund und Pfarrer im Ruhestand Wilhelm Kovermann, der die Trauerfeier gemeinsam mit Pfarrdechant Hans-Bernd Krismanek und Bischof Anba Damian, Klaus Töpfer ebenfalls seit langer Zeit freundschaftlich verbunden, leitet. „Er war und blieb Klaus.“ Und Klaus war auch Ehemann und Vater, später Großvater, Freund.

„Die Familie war und blieb ihm wichtig, obwohl – und das muss man auch sagen – er ihr viel zugemutet hat“, weiß Kovermann. Termine, Umzüge, Aufmerksamkeit.„Erhatselbst immerbedauert,nieZeitzuhaben“, erinnert sich Lutz Töpfer an seinen Vater. Dabei habe er am Ende doch mehr davongehabtalsseineeigenenEltern oder Bruder Peter, die, wie Lutz Töpfer rekapituliert, alle deutlich jünger als Klaus Töpfer starben. „Das Leben meines Vaters zeigt, wie aus etwas Kleinem etwas Großes erwachsen kann, wie ein mittelloserFlüchtlingsjungedieWelt verändern kann.“

Töpfers Familie wurde nach dem Zweiten Weltkrieg aus Schlesien vertrieben. 1946 kam sie in Höxter an. Eine Zeit, die Töpfer, obzwar noch ein Kind, wohl nie vergessen hat. Wer ihn traf, schwärmte von seiner Bodenständigkeit, seiner Bescheidenheit. Allem Genie und Erfolg zum Trotz. Seiner Art, den Menschen auf Augenhöhezubegegnen.Undseiner Fähigkeit, immer VerbindungzuseinenWurzelnzuhalten. „Er war einer von uns“, berichtet Wilhelm Kovermann von Klassentreffen des KönigWilhelm-Gymnasiums. „Er war Klaus.“

Imperfekt. „Das ist nun alles vorbei, oder?“, fährt Kovermann fort und gibt selbst die Antwort: „Es ist nicht alles vorbei.“ Ein Hinweis darauf, dass er recht haben könnte, dass etwas von Klaus Töpfer bleibt, sind die Fürbitten, die Familienmitglieder, etwa eine Enkelin oder der Cousin Töpfers, in der Kirche lesen. Sie drehen sich auch um den Klimawandel, der menschengemacht sei. Und um die Solidarität, die Klaus Töpfer und seine Familie in Höxter erfahren hatten, als sie als Geflüchtete an der Weser ankamen. Die Familie bittet, es möge auch heute Solidarität in der Gesellschaft geben. „Christus, erhöre uns“, schallt es.

Klaus Töpfer, gläubiger Christ, hat seiner Familie, seinen Lieben, den Menschen in seinem Umfeld seine Überzeugungen mitgegeben. Und Deutschland und der Welt hat er seine Verdienste hinterlassen. Seinen Kampf für Naturschutz, für Nachhaltigkeit, gegen zum Beispiel die Atomkraft. „Ein solches Leben ist stärker als der Tod“, würdigt Lutz Töpfer im Namen der Familie und wendet sich an die Trauergemeinde: „Wir wünschen uns, dass seine Unruhe, sein Optimismus, seine Groß- herzigkeit, seine Umtriebigkeit, seine Großzügigkeit durch Sie wirken.“

Auf dem Friedhof am Wall wird der schlichte Holzsarg, geschmückt mit roten Rosen, Schafgarbe und viel Grün, beigesetzt. Das Grab liegt unweit der Friedhofskapelle, diestrahlende Junisonne taucht es in goldenes Licht. Die Musikschule Höxter spielt, die Schützen stehen Spalier. Erde und weitere Rosen und unzählige Tränen werden Klaus Töpfer auf seine letzte Reise mitgegeben.