Holzskulpturen-Ausstellung
„Der Mensch begegnet seinem Engel“
von Gunter Schmidt-Riedig
von Gunter Schmidt-Riedig
Holzbildhauer und Diakon Gunter Schmidt-Riedig. Foto: Jennifer Peppler
Schon früh folgte Gunter Schmidt-Riedig seiner Berufung und beschäftigte sich als tiefgläubiger Christ mit der Bibel und dem Glauben sowie dem Material Holz. (Bischof Damian)
„Welchen Weg geht der Mensch?“ Dieser Gedanke beschäftigt mich seit meiner frühesten Jugend. Als gelernter Modelltischler faszinierte mich schon immer die Vielseitigkeit des Holzes. 1993 begann ich mit 50 Jahren meinen Kindheitstraum Schritt für Schritt zu leben. Ich erhörte meine innere Stimme, widmete mich ganz der Bildhauerei und schuf die ersten Holzskulpturen, gemäß „Soli Deo Gloria“ („allein Gott zu Ehren“) und nach dem Wahlspruch „Ora et Labora“ („bete und arbeite“).
Seit 1996 wurden in über 70 Ausstellungen, ausgehend vom Bodensee über ganz Deutschland bis zur Insel Borkum, der Schweiz und Kroatien, die zumeist lebensgroßen Werke in den unterschiedlichsten Kirchen präsentiert. Höhepunkt waren u.a. die Expo 2000 in Hannover, und die Ausstellung beim Evangelischen Kirchentag in Stuttgart im Jahr 2002. Ende des Jahres 2013 bzw. im Frühjahr 2014 haben die noch in meinem Besitz befindlichen Skulpturen einen dauerhaften Standort gefunden. Es war wieder einmal das Schicksal, welches mich zu S.E. Bischof Anba Damian geführt hat.
Anlässlich des 20-jährigen Jubiläums des Koptisch-Orthodoxen Klosters der Hl. Jungfrau Maria und des Hl. Mauritius in Brenkhausen wurden 50 Holzskulpturen dem Kloster gestiftet und feierlich übergeben. Am 22.12.2013 weihte, der aus Ägypten angereiste koptisch-orthodoxe Papst, S.H. Papst Tawadros II., die Klosterkapelle und eröffnete die Dauerausstellung. Seitdem begleite ich die Dauerausstellung als Vermächtnis des christlichen Glaubens und Brücke der Ökumene mit Führungen.
Holzbildhauer und Diakon Gunter Schmidt-Riedig mit S.E. Bischof Anba Damian vor dem Fährmann (Lindenholz, Höhe 195 cm) im Kreuzgang des Klosters. Foto: Daniela Rutica
„In diesen Skulpturen begegnen wir den Erfahrungen der geistlichen Väter und Mütter, wie sie uns aus den ersten christlichen Jahrhunderten überliefert sind. Ihre Anfänge liegen auch in den ägyptischen Wüstenklöstern begründet, die teilweise (…) bis heute bestehen und das geistliche Leben in der Koptisch-Orthodoxen Kirche prägen.
Machen Sie sich auf den Weg durch diese Ausstellung und verweilen Sie vor den Skulpturen. Es ist ein Weg aus der gewohnten Alltags- und Lebenswelt in eine tieferliegende geistige Welt und Wirklichkeit, zu der der Fährmann am Anfang der Ausstellung einlädt (…).“
(Pfarrer Dr. Christian Hohmann)
„Der Mensch als ein Geistwesen wächst mit den Seelenkräften aus der übersinnlichen Welt. Der Fährmann ist Vermittler zwischen der übersinnlichen und sinnlichen Welt. So rudert Sie zu Beginn der Ausstellung der Fährmann von der irdisch-sinnlichen Welt hinüber an das Ufer der übersinnlichen Welt.“
(Gunter Schmidt-Riedig)
1995 – „Der Mensch begegnet seinem Engel“
Lindenholz, Höhe 150 cm. Foto: Jennifer Peppler
„Seine Holzskulpturen bilden als tiefsinnige Zeugnisse des christlichen Glaubens eine ökumenische Brücke für Gläubige aus unterschiedlichen Traditionen und Ländern.“
(S.E. Bischof Anba Damian)
„Sie sprechen von Sehnsucht und Liebe, von der Schwere des Lebens von Geborgenheit und Hoffnung.
Sie bestechen (…) durch Tiefe und Innerlichkeit.
Ihre Hände (…) erwartungsvoll, beschützend, segnend. (…)
im Mittelpunkt (steht) der suchende und findende Mensch,
verwandelt in sprechendes Holz!“
(Pfarrer Michael Riedel-Schneider)
2004 – „Mutter und Kind“, Pappelholz, Höhe 118 cm. Foto: Jennifer Peppler
„Die Skulpturen sind in sich selbst sprechende Körper. Totes Holz ist vom Künstler zu neuem Leben erweckt worden. (…) Ruhige Gesten, in sich ruhende Gesichter, der Blick ist häufig nach innen gewandt oder nach oben. Sie sprechen eine leise Sprache (…). Sie öffnen einem den Raum zur inneren Welt und zur Andacht (…).
Diese Skulpturen können uns an das erinnern, was wir heute so notwendig haben (…): dass nämlich unsere Seele ein Raum der Stille sein kann, in die Kraft hineinfließt. Kraft, die wir nicht machen können, die uns aber erfüllen kann wie ein Geschenk.“
(Pfarrer Eberhard Blanke)
2001 – „Gedanken zum Vaterunser“, Lindenholz 2001, Höhe 190 cm. Foto: Jennifer Peppler
Als die Jünger Jesus Christus baten – „Herr, lehre uns beten, wie auch Johannes seine Jünger lehrte.“ (Lukas 11,1) – schenkte er uns allen das Vaterunser. Dieses großartige Gebet vereint alle Christen, egal welcher Konfession und Glaubensrichtung wir angehören.
Aller Symbolik steht „ora et labora – bete und arbeite“ voran.
Der Mensch blickt auf zu Christus und hält in der Hand eine Rolle mit einer Inschrift. Wir lesen: KURIE IHCOU CRICTE eLEHCON ME (griechisch: Kyrie Jesu Christi eleison me) = „Herr Jesus Christus, erbarme dich meiner.“ Hierbei handelt es sich um das „Herzensgebet“, das bei allen orthodoxen Mönchen bekannt ist.
Das Gebet wird im Einklang von Herzschlag und Atmung ständig wiederholt. Somit ist es möglich für den geübten Beter „ora et labora – bete und arbeite“ zu verwirklichen. Der schuldbeladene, unvollkommene Mensch bedarf des Trostes und Segens durch Jesus Christus. Liebevoll legt er die segnende Hand auf das Haupt des Menschen, mit der anderen Hand hält er das Böse fern. So wird in der Koptisch-Orthodoxen Kirche beim Vaterunser nach der siebten Bitte „und erlöse uns von dem Bösen“ der Zusatz „durch Jesus Christus, unseren Herrn“ ergänzt. Der Mensch ist nun gerüstet für den Kampf gegen die Verstrickungen der Sinnenwelt mit ihren Irrungen und Wirrungen.
1997 – „Die Last“, Walnussbaum, Höhe 178 cm. Foto: Jennifer Peppler
Jedem Menschen erscheint seine persönliche Last als die Schwerste. Das Leben mit einer Last kann den Menschen zur Verzweiflung bringen. Aber immer wieder treten helfende Mitmenschen und Engel auf, um mitzutragen.
Du bist also nicht allein, es gibt auch noch jemanden der mitträgt. Hat nicht Christus die größte Last der Menschheit und der gesamten Erde auf sich genommen?
Dieser Nussbaum war als Rohling schon eine riesige Last im wahrsten Sinne des Wortes. Der Transport und die weitere Verarbeitung erforderten viel Kraft.
„Die Last“ steht heute im Koptischen Kloster im 1. Obergeschoss des Westflügels. Der Nussbaum wurde als Stamm erkennbar so gelassen, die Figuren dreidimensional herausgearbeitet und der Rücken der Skulptur mühevoll ausgehöhlt. Foto: Sybille
„Besonders eindrucksvoll ist die aus vier Blöcken bestehende Darstellung der ‚Bergpredigt‘. Man sieht flehende Gebetsgesten, traurige und nachdenkliche Gesichter, eine Mutter, die zärtlich ihr Kind hält und einen zu Unrecht gekreuzigten Menschen. Hier wird deutlich, wie die Seligpreisungen mitten in unser Leben sprechen.“
(Pfarrer Dr. Christian Hohmann)
1998/99 – „Die Bergpredigt“ steht heute als ein Mittelpunkt der Dauerausstellung am Ende des Kreuzgangs des Koptischen Klosters. Pappelholz, Höhe 380 cm, Breite 255 cm. Foto: Ulrich Sprengel
Unübersehbar steht vor Ihnen die Skulpturengruppe der Bergpredigt, in der für uns Christen die Kernaussagen unseres Glaubens enthalten sind. S.H. Papst Schenouda sagte einmal, dass die Bergpredigt mit ihren neun Seligpreisungen das Grundgesetz des Christentums sei.
Als ich dieses Werk schuf, wusste ich noch nicht, wo es seinen endgültigen Standort bekommen würde. Es ist eine große Fügung, dass es ein Koptisch-Orthodoxes Kloster geworden ist. Denn in jedem koptisch-orthodoxen Gottesdienst wird zum Gebet der 6. Stunde das Evangelium des Matthäus (5,1-16) als fester Bestandteil der Liturgie gelesen.
Auf den vier Blöcken mit den Aussagen der neun Seligpreisungen ist Jesus Christus dargestellt, wie er mit segnenden Händen über uns all die wunderbaren Zeugnisse spricht. Das Kreuz im Hintergrund ist mit einer Strahlenaura versehen und zeigt uns Jesus Christus als das Licht der Welt.
Möge die Bergpredigt in Holz als Unterstützung der unvergänglichen und zeitlosen Worte von Jesus Christus sowie als Brücke zu den Herzen der Menschen dienen. (Text Gunter)
1998 beginnt Gunter Schmidt-Riedig mit seinem größten Werk. „Die Bergpredigt“ entsteht aus vier zusammengeleimten Blöcken und einem zusätzlichen für Jesus Christus. 1999 hat er sie zu Ende geschnitzt.
„In den ‚Stufen der Freiheit‘ begegne ich Dietrich Bonhoeffer und Alfred Delp, Menschen, die als prominente Gefangene eines menschenverachtenden Unrechtsregimes nach Freiheit gesucht haben, die sie nur in Gottes Gegenwart finden konnten. Diese Freiheit erschließt sich nicht einfach so. Wer nach dieser Freiheit sucht, muss einen Weg gehen, Stufe um Stufe, getragen von Glaube, Hoffnung und Liebe.“
(Pfarrer Dr. Christian Hohmann)
2001 – „Die Stufen zur Freiheit“, Lindenholz, Höhe 440 cm, Breite 180 cm. Die Skulpturengruppe steht heute im 1. Obergeschoss des Westflügels des Klosters in Brenkhausen. Foto: Jennifer Peppler
Beim Betrachten im Spiegel sehen Sie sich selbst hinter Gittern. Ich stelle deshalb den Betrachter vor die Frage: Bin ich wirklich frei? Die Antwort ist ganz einfach und lautet: Ja, wenn wir als Christen den Weg beziehungsweise die Stufen hinaufgehen.
Dann sehen wir uns nun im oberen Spiegel frei und sind der verkörperten Liebe, dem Pantokrator Jesus Christus, der die reine Liebe ist, am nächsten.
Im rechten Block schaut ein Mensch mit gesenktem Blick in die Welt, indem er sich mit den Händen am Gitter festhält.[1] Hierzu kann man sich die Texte und Lieder von Dietrich Bonhoeffer durchlesen. Diese Aussagen und die Darstellung stellen die Hoffnung dar. Als einen seiner wunderbaren Aussagen lesen Sie das Lied „Von guten Mächten“, vor allem die 7. Strophe.
[1] Es ist nicht der Kopf von Dietrich Bonhoeffer dargestellt.
„Von guten Mächten wunderbar geborgen,
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist bei uns am Abend und am Morgen
und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“
Die Darstellung oben zeigt Jesus als Pantokrator (Allherrscher) und sieghaften Christus. Der auferstandene Jesus Christus hat das Kreuz hinter sich gelassen.
„Die Stufen zur Freiheit“ sind hell erleuchtet. Der gefesselte Gefangene, welcher für den Glauben steht, wird vom Licht des Christus als Licht der Welt durchdrungen. Foto: Jennifer Peppler
„Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ (Johannes 8,12)
1996 – „Golgatha“, Pappelholz, Höhe 150 cm. Foto: Ulrich Sprengel
Du bist verzagt über deine täglichen Belastungen –
bedenke: „Er“ trägt die Last der ganzen Welt –
und es wird dir leichter, deine Last zu tragen.
Wir verlieren den Blick vor so viel Elend auf der Welt,
wir verlieren die Stimme bei so viel Ungerechtigkeit,
wir verlieren unser Menschsein bei so viel Sprachlosigkeit,
wir verlieren uns, weil wir nicht mehr lieben.
Wir entfernen uns von Gott bei so viel Gottlosigkeit.
Dennoch reicht er uns seine Hand, aber viele sind erblindet und sehen diese Hand nicht mehr.
Sprachlos und blind – reiche dem Nächsten deine Hand – die du noch hast.
Durch diese Berührung wirst du wieder sehend.
Du wirst deine Sprache wiedererlangen.
Dein erster Blick wird sein: Im Nächsten Gott zu sehen.
Dein erstes Wort wird heißen: „Liebe“.
2007 – „Die Offenbarung“ ist mit den 7 Steinen hell erleuchtet. Kastanienbaum, Höhe 300 cm Foto: Jennifer Peppler
Die Visionen des Johannes auf Patmos verkünden nicht nur Gefährdungen und Schrecken der Weltgeschichte, sondern führen und lenken sie uns vielmehr auch zur Vollendung des göttlichen Plans. Sie sind Trost und Hoffnung für Christen in schweren Zeiten.
Es lohnt sich, in der Offenbarung des Johannes immer wieder zu lesen. Möge die Skulptur eine Anregung dazu sein.
Über dem schreibenden Johannes hält ein Engel 7 Sterne in der Hand (Offenbarung 1,16). Es ist Jesus Christus, der zunächst von Johannes als Engelerscheinung gesehen wird. Christus hält in seinen Händen das Buch mit den 7 Siegeln.
Viele Aussagen in den Texten erinnern an die Evangelien. Im 5. Kapitel lesen wir nun vieles über das Buch mit den 7 Siegeln. Ich habe alles komprimiert dargestellt und gleichzeitig auch vereinfacht. Daher ist auch nur ein Posaunenengel zu sehen. Er steht symbolisch für 7 Posaunenengel. Neben dem Posaunenengel ist aus Edelstahl ein U (Ypsilon) eingearbeitet. Dieser Buchstabe bedeutet in der Symbolsprache „Weggabelung“.
Im weiteren Kapitel wird die Mauer mit den 12 Toren des neuen himmlischen Jerusalem beschrieben. 12 Edelsteine werden genannt, die in der Mauer zu sehen sind. In künstlerischer Freiheit habe ich in den Baumstamm 7 beleuchtete Steine eingearbeitet, um bei der Zahl 7 zu bleiben und die Skulptur nicht zu überladen (7 Steine = 7 Siegel). Die oberen beiden Steine beinhalten gleichzeitig die beiden griechischen Buchstaben: A und W (Alpha und Omega).
1995 – „Die Heilige Familie und der Friedensengel“ Pappelholz, Höhe 180 cm. Foto: Jennifer Peppler
Nach der Geburt Jesu Christi begegnete auch dessen irdischem Vater Josef, einem Zimmermann, der Engel des Herrn, der zu ihm sprach: „Steh auf, nimm das Kindlein und seine Mutter mit dir und flieh nach Ägypten und bleib dort, bis ich dir’s sage“ (Matthäus 2,13). So ist mein Heimatland Ägypten das einzige Land, in dem das Christus-Kind mit seiner Familie über den Zeitraum von dreieinhalb Jahren Asyl gefunden hat. Noch heute stehen an den Stationen ihrer Reise heilige Stätten und Kirchen des koptischen Christentums, die als Pilgerstätten aufgesucht werden.
(Zitat Bischof Damian)